Vielfältige Aspekte und Konzepte kulturwissenschaftlicher Gedächtnisforschung werden Prof. Dr. Aleida Assmann und Prof. Dr. Jan Assmann in ihrer interdisziplinären Vorlesungsreihe gemeinsam mit renommierten Wissenschaftlern diskutieren. Jede Gegenwart legt sich eine identitätsrelevante Vor-Geschichte zurecht, die der Gesellschaft als Erinnerungsraum, Bezugsraum und Orientierungsraum dient. Solche Vergangenheitshorizonte beruhen auf einer komplexen Dynamik von Erinnern und Vergessen. Sie sind nie ein für alle Mal festgeschrieben, sondern unterliegen beständiger Verhandlung und Neubestimmung.
Gemäß den beiden Konstanzer Kulturwissenschaftlern hat sich unsere Zeitorientierung seit den 1980er Jahren maßgeblich verändert. Bis dahin waren alle Erwartungen auf die Zukunft gerichtet und wir lebten in einer Zeit, die mit dem Versprechen eines stetigen und irreversiblen Fortschritts verbunden war. Davon kann inzwischen so nicht mehr die Rede sein. Während die Zukunft aufgrund von Erkenntnissen über die Belastungen der Umwelt und den Abbau natürlicher Ressourcen immer mehr zu einem Gegenstand der Sorge und Vorsorge geworden ist, ist die Vergangenheit zu einem Gegenstand der Nachsorge geworden. In dem Maße, wie die Zukunft an Strahlkraft verloren hat, macht sich die Vergangenheit immer stärker in unserem Bewusstsein breit. Die Überlast der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts hat sich nicht einfach mit der Zeit aufgelöst, sondern macht noch gebieterisch Ansprüche an unsere Aufmerksamkeit, Anerkennung, Verantwortung und nicht zuletzt: Erinnerung.
In ihrer Veranstaltungsreihe werden Aleida und Jan Assmann ihre Theorie des kulturellen Gedächtnisses erläutern, die vor dem Hintergrund eines neuen Zeitgefühls entstanden ist, das Zukunft nicht mehr im Gegensatz zur Vergangenheit, sondern in Verschränkung mit ihr definiert. Sie werden Fragen nach den Medien und Akteuren dieses kulturellen Gedächtnisses, nach seiner Deutungsmacht, seinen Herausforderungen und Veränderungen nachgehen. Und nicht zuletzt werden sie die Konstruktion von Vergangenheitshorizonten aufzeigen, die dasjenige sind, was unserem Tun und Erleben Sinn, d. h. Zusammenhang, Richtung und moralische Bedeutung verleiht.
Die Vorlesungen finden im Sommersemester 2015, dienstags von 18:15 Uhr bis ca. 20 Uhr im Haus Recht und Wirtschaft I, Hörsaal RW 1, Jakob-Welder-Weg 9, auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz statt.
Die Vorlesungsreihe richtet sich auch an die interessierte Öffentlichkeit, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Erinnern und Vergessen - Zur Konstruktion von Vergangenheitshorizonten
Dienstag, 21. April 2015
ERÖFFNUNGSVERANSTALTUNG
Zur Konstruktion von Vergangenheitshorizonten
Prof. Dr. Dr. h. c. Aleida Assmann
(Professorin i. R. für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft, Universität Konstanz)
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Jan Assmann
(Professor em. für Ägyptologie, Universität Heidelberg, und Honorarprofessor für Allgemeine Kulturwissenschaft und Religionstheorie, Universität Konstanz)
Dienstag, 28. April 2015
Die Erfindung des Altertums: Schrift, Kanon und Vergangenheit
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Jan Assmann
Dienstag, 05. Mai 2015
Aufstieg und Fall des Zeitregimes der Moderne
Prof. Dr. Dr. h. c. Aleida Assmann
Dienstag, 12. Mai 2015
Die globale Revolution der Zeitregime im 19. Jahrhundert
mit Gastredner: Prof. Dr. Sebastian Conrad
(Professor für Geschichte, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin)
Dienstag, 19. Mai 2015
Die verwandelnde Kraft der Erinnerung
Prof. Dr. Dr. h. c. Aleida Assmann
Dienstag, 02. Juni 2015
»Die nassen Ränder seiner sowjetischen Hosenbeine« – Eingangsbilder ins Erzählen vergangener Zeit
(Lesung und Gespräch)
mit Gastredner: Lutz Seiler
(Schriftsteller, Wilhelmshorst bei Berlin und Stockholm)
Dienstag, 09. Juni 2015
Ägypten im europäischen Vergangenheitshorizont
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Jan Assmann
Dienstag, 16. Juni 2015
Die neuronalen Grundlagen des Gedächtnisses
mit Gastrednerin: Prof. Dr. Hannah Monyer
(Ärztliche Direktorin der Abteilung Klinische Neurobiologie am Universitätsklinikum Heidelberg)
Dienstag, 23. Juni 2015
»Die Sünden der Väter«: Geschichtsschreibung im Schatten der Katastrophe
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Jan Assmann
Dienstag, 30. Juni 2015
ABSCHLUSSVERANSTALTUNG
Formen des Vergessens
Prof. Dr. Dr. h. c. Aleida Assmann