Exposé zur Vorlesungsreihe 2017

Künstliche Intelligenz für den Menschen: Digitalisierung mit Verstand

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster

Künstliche Intelligenz (kurz KI) realisiert intelligentes Verhalten und die zugrunde­liegenden Fähigkeiten auf Computern. KI ist heute im Alltag angekommen: ob wir auf dem SmartPhone Sprachassistenzsysteme wie Siri oder Cortana nutzen, um ein Restaurant in der Nähe zu finden, mit Google Translate eine koreanische Webseite auf Deutsch über­setzen lassen, in unserem Fahrzeug Autopilotfunktionen aktivieren oder ob der Versuch einer betrügerischen Nutzung unserer Kreditkartendaten vereitelt wird, immer steckt KI dahinter. Das Forschungsfeld versteht sich als Avantgarde der Informatik, da mit KI immer die aktuellen Grenzen der Digitalisierbarkeit ausgelotet und überwunden werden sollen. Aber für uns in Deutschland ist KI nicht nur als persönlicher digitaler Assistent wichtig, sondern entscheidend, um die nächste Stufe der Digitalisierung unserer Wirtschaft zu erreichen. Zukunfts­projekte, wie Industrie 4.0, Smart Service Welt und Autonome Systeme, die ich für die Bundes­regierung mit vorbereiten durfte, nutzen massiv den Fortschritt auf dem Gebiet der KI aus. Seit 60 Jahren arbeiten Informatiker im Forschungsgebiet KI an Computer­systemen „mit Hand und Fuß, Augen und Ohren sowie mit etwas Verstand“. Mit KI lassen sich künftig nicht nur Arbeitsplätze im Bereich der Mobilitätsdienstleistungen wie die von Taxi-Fahrern, Zugführern bis hin zu Co-Piloten in Flugzeugen automatisieren. Auch Aufgaben, die heute eine akade­mische Qualifikation auf mittlerer Managementebene erfor­dern, z. B. von Radiologen, Rechtsanwälten und Versicherungs- und Bankkaufleuten, aber auch Software-Entwicklern, können künftig immer mehr durch KI-Systeme über­nommen werden. Mit maschinellem Lernen über Massendaten wird die Software nicht länger von einem Program­mierer erstellt, sondern von einem KI-System.

Mit KI-basierten Produktionssystemen in Industrie 4.0 und der Digitalisierung von Dienst­leistungen nutzen wir die Chance, den Wohlstand in Deutschland durch die Integration von KI in die Exportschlager unserer Wirtschaft - vom Mähdrescher, über das Auto bis zum Geschirrspüler - nachhaltig zu sichern. Die Mensch-Technik-Interaktion kann durch die Einbettung von KI in unsere technisierte Umwelt so gestaltet werden, dass sich der Mensch nicht länger der Technik anpassen muss, sondern sich die Technik dem Menschen indivi­duell anpassen kann.

Die menschliche Intelligenz hat viele Dimensionen: die sensormotorische, die kognitive, die emotionale und die soziale Intelligenz. Wenn man entlang dieser Dimensionen die künstliche und die menschlichen Intelligenz vergleicht, ergibt sich folgendes Resultat: in der sensormotorischen Intelligenz gibt es eine klare Überlegenheit des Menschen sowohl in der Sensorfusion als auch in der Feinmotorik – unsere heutigen Fußballroboter kommen einfach an die Ballkünste unserer Nationalspieler nicht heran. Bei der kognitiven Intelligenz gibt es in einigen Teilbereichen eine Überlegenheit der maschinellen Intelligenz, wenn extrem viele Daten und Handlungsoptionen schnell analysiert werden müssen - wie das Beispiel des Sieges von KI-Systemen über Schach- und Go-Weltmeister zeigt. Bei der emotionalen und sozialen Intelligenz gibt es bei KI-Systemen noch große Schwächen und erst einfache Modelle für die Erkennung von Emotionen und sozialem Verhalten. Unser Ziel in der KI ist es, eine unsere menschlichen Intelligenz unterstützende, ergänzende oder auch komple­mentäre maschinelle Intelligenz zu entwickeln, so dass menschlicher und maschineller Intellekt zusammen Probleme lösen, die uns Menschen beschäftigen. Es sollen dabei auch bekannte Defizite menschlicher Intelligenz durch KI kompensiert werden.

Der Erfolg von Technologien der KI wirft auch eine Vielzahl ethischer, philosophischer, juristi­scher und sozialer Fragen auf, die frühzeitig in unserer Gesellschaft diskutiert werden müssen, um das Gefühl eines Kontrollverlustes und damit Akzeptanzprobleme zu vermeiden.